Montag, 29. Mai 2017

JFK 100 – Happy Birthday, Mr. President...

 
Credit Bild: © Stanley Tretick/Historic Image Licensing  Taschen Verlag
Weder vorher noch nachher gab es einen Präsidenten wie ihn:
Keiner war populärer, keiner wurde so abgöttisch-verklärend geliebt und kein anderer Politiker verkörperte die diametral entgegengesetzten Welten des mondänen Jetset und der beinharten Weltpolitik so wie der 35. Präsident der USA: Heute wäre John F. Kennedy 100 Jahre geworden – und sein Mythos hat bis heute nichts von seiner Faszination eingebüßt – trotz oder auch wegen der Schattenseiten des Polit-Superstars.

Zeit für eine popkulturelle Spurensuche und den Versuch einer Erklärung von Kennedys bis heute anhaltender Popularität aus einem nicht alltäglichen Blickwinkel. Denn Kennedy und insbesondere sein Tod als Schlüsselmoment der 60er beschäftigte viele Vertreter der Popkultur.

Flashback zum 22.11.1963: Um Unterstützung und Gelder für seine Wiederwahl zu gewinnen, befindet sich John Fitzgerald Kennedy - kurz JFK - auf Wahlkampftour in einem der konservativsten Bundesstaaten der USA: Texas. Kein einfaches Terrain für den Demokraten. Denn im Süden ist der 46-jährige auch aufgrund seiner liberalen Ansichten (u.a. zu den Bürgerrechten der Schwarzen) vielen ein Dorn im Auge. An diesem Freitag steht eine Fahrt durch die Innen-stadt von Dallas - die Menschen sollen ihr Staatsoberhaupt möglichst nahe sehen können - und eine Rede auf dem Programm. Was als Routinetermin für den 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten beginnt, endet in einer Tragödie: Noch bevor die Wagenkolonne JFKs ihr Ziel erreicht, fallen am Dealey Plaza drei Schüsse - abgefeuert aus dem Fenster eines Schulbuchlagers. Die Kugeln des Schützen, Lee Harvey Oswald, verfehlen ihr Ziel nicht: Kennedy wird tödlich getroffen. Oswald wird zwar noch am selben Tag gefasst, jedoch zwei Tage nach seinen Schüssen auf das Staatsoberhaupt selbst ermordet.

Kennedy, zu Lebzeiten schon ein moderner und medienaffiner Politiker, wurde posthum zu einer Art popkulturellen Phänomen: er und sein Tod werden immer wieder thematisiert - auch in Songs der Populärmusik, die zu den frühesten Reaktionen auf den gewaltsamen Tod des amerikanischen Hoffnungsträgers gehören.
Die musikalische Auseinandersetzung mit den Geschehnissen begann schon unmittelbar nach den fatalen Schüssen. Die Beach Boys Brian Wilson und Mike Love arbeiteten zu dieser Zeit an dem Song „Warmth Of The Sun“, einer melancholischen Ballade, die in deutlichem Kontrast zum sorgenfreien, fröhlichen Sound der Gruppe und ihrer „Sommer, Girls und schnelle Autos“-Thematik stand, bis heute untrennbar mit JFK verbunden ist und eine Art Tribute an ihn darstellt.
Das Attentat auf JFK veranlasste auch Roger McGuinn, Sänger und Gitarrist der Folk-Rock-Band The Byrds, dazu das alte Traditional „He was A Friend Of Mine“ grundlegend neu zu bearbeiten und so einen der bekanntesten Songs der Byrds zu kreieren.  Einer Grabrede gleich arbeitete McGuinn in die bestehenden Lyrics über den Tod eines Freundes die Geschehnisse vom 22.11.1963 ein: „His killing had no purpose, no reason or rhyme...He was in Dallas town...From a sixth floor window a gunner shot him down...Though I never met him I knew him just the same...Oh he was a friend of mine“.

Tief getroffen von Kennedys Tod zeigte sich auch die schwarze Community, verloren sie doch nicht nur ein Staatsoberhaupt sondern auch einen mächtigen Verbündeten. JFK hatte sich in den noch immer von Rassismus geprägten Sechzigern als einer der wenigen aktiv für Integration und Gleichstellung eingesetzt. Besonders in der Blues-Szene wurden viele Nachrufe in Song-Form aufgenommen: Der berühmte Bluesman Sleepy John Estes beispielsweise reagierte auf den Verlust mit dem Song „President Kennedy (Stayed away too long)“ und sang „We lost the best President we´ve ever had“. Der langjährige Pianist der Muddy Waters-Band, Otis Spann, sang vom „Sad Day In Texas“ und  als 1968 dann der Bürgerrechtler Martin Luther King in Memphis, Tennessee erschossen wurde entstand der u.a. von Ray Charles, Marvin Gaye und Harry Belafonte aufgenommene Song „Abraham, Martin and John“ - ein Tribute an Lincoln, King und Kennedy, die sich alle drei für die Rechte der Schwarzen eingesetzt hatten und die alle das gleiche Schicksal ereilte.

Gewalt und die Frage, wer JFK tötete, spielten einige Jahre später in „Sympathy For The Devil“ der Rolling Stones ebenfalls eine wesentliche Rolle. In den Lyrics des Songs tritt der Teufel selbst als Ich-Erzähler auf und erklärt sich für Chaos und Leid im Laufe der Weltgeschichte verantwortlich. Noch bevor die finalen Aufnahme-Sessions für das „Beggars Banquet“-Album (1968), auf dem der Song erschien, abgeschlossen waren wurde auch JFKs Bruder, Senator Robert Kennedy, erschossen. Die Textstelle, bei der Satan die Zuhörer fragt, wer Kennedy erschossen hat wurde daraufhin zu „I shouted out: Who killed The Kennedys ? When after all it was you and me“ abgeändert.
Zehn Jahre später erinnerte sich dann Police-Frontman Sting an seine Kindheit und Jugend in  „Born in the 50s“: „My mother cried when President Kennedy died, she said it was the communists...but I knew better“.

In den 80ern nahm die direkte Beschäftigung mit dem Kennedy-Attentat in der Pop- und Rockmusik zwar etwas ab, der zunehmende zeitliche Abstand führte jedoch nicht dazu, dass das einschneidende Ereignis aus den Songs bekannter Künstler verschwand. Lou Reed erinnerte sich 1982 an den Tag, an dem er die News von Kennedys Ermordung erfuhr ( „The Day John Kennedy died“) und der Hip Hop-Produzent Steinski machte aus der News-Berichterstattung zum Kennedy-Mord gleich einen ganzen Song: „The Motorcade sped on“ besteht aus einer Reihe von sogenannten Samples. Über den Drum-Beat des Stones-Songs „Honky Tonk Women“ wurden rhythmisch Zitat-Schnipsel von Anchorman-Legende Walter Cronkite, der 1963 über das Ereignis berichtete, gelegt.
Axl Rose, Frontman der Hard Rocker Guns N´ Roses, wiederum verdeutlichte im Antikriegs-Song „Civil War“ von 1991 die traumatisierende Wirkung, die die Schüsse vor „laufender Kamera“ auf eine junge Generation hatten: „And in my first memories they shot Kennedy, and I went numb when I learned to see“.
Im 5. Jahrzehnt nach den Ereignissen in Texas schlüpfte dann die junge, amerikanische Sängerin Lana Del Rey im kontroversen Musikvideo zu ihrem „American Anthem“ (2012) in die Rolle der Jacqueline Kennedy und stellte Teile des berüchtigten Zapruder-Films nach.

Credit Bild:  © Henri Dauman/daumanpictures.com. All rights reserved. Taschen Verlag

Dass es vom JFK-Attentat Filmaufnahmen (siehe das vom Hobbyfilmer Abraham Zapruder gedrehte, sogenannte „Zapruder“-Video) gibt, ist auch ein Schlüsselaspekt, der begreifbar macht, weshalb der im Amt ermordete Präsident Gegenstand so vieler Songs der Populärmusik ist.
Sein gewaltsamer Tod war ein trauriges und schockierendes Medienereignis, an dem selbst jene, die nicht am Dealey Plaza in Dallas standen durch die moderne Berichterstattung „live“ Anteil nehmen konnten. Auch aufgrund der Drastik der Fotos und Bilder vom Dallas-Attentat (in Verbindung mit den Verschwörungsvermutungen, den offiziellen Untersuchungen oder Büchern über den Fall) brannte sich das Ereignis besonders nachhaltig ein. Hinzu kommt, dass sich selbst junge Menschen, teilweise aus der regierungskritischen 60er-Counterculture (der Gegenbewegung zum Establishment), mit ihm identifizieren konnten. War Kennedy doch ein Mann, der trotz Krisen in seiner Amtszeit (Vietnam, Kuba und der Schweinebucht-Vorfall) eine Identifikationsfigur war, die eine Antithese zum „alten, grauenPolitikertypus darstellte.
Die immense Popularität Kennedys schon zu seinen Lebzeiten ist auch darauf zurückzuführen, dass er der erste Medien-Politiker war – der das Spiel mit fernseh-wirksamen Symbolen wie kein zweiter beherrschte.
Auch wenn Enthüllungen der Geschichtsforschung (Affären, Gebrauch von Medikamenten) ein ambivalentes Bild der einstigen Lichtgestalt zeichnen, geht von Kennedy eine Faszination aus, die bis heute anhält.
Auch dadurch ist es zu erklären, warum selbst Artists einer neuen Generation (siehe Lana Del Rey), die die Ereignisse damals gar nicht miterlebt haben, JFK noch immer in ihrer Kunst thematisieren.

Credit Bild:  © Hank Walker/Time & Life Pictures/Getty Images  Taschen Verlag

Was Kennedy für die Menschen in den Sechzigern symbolisierte, wird auch in Norman Mailers Klassiker-Reportage „Superman kommt in den Supermarkt“ nachvollziehbar – einem Stück Journalismus-Geschichte, das  passend zum 100. Geburtstag von „Mr. President“ vom Taschen Verlag neu aufgelegt wird. (und aus dem auch die Bilder dieses Artikels stammen).

Mailers Kennedy-Portrait ist ein geniales Essay – in den 60ern ursprünglich im renommierten Esquire-Magazine erschienen – das die klassische Polit-Berichterstattung erneuerte und auch einen wesentlichen Meilenstein für den New Journalism setzte, der die Sixties und die kommende Dekade prägen sollte. Mailer – der einst meinte, dass sein Portrait von JFK die Wahl entschieden hätte – lässt den Leser unmittelbar teilhaben an der euphorischen Stimmung der early sixties in Kennedys „Camelot“, dem Traum-Königreich der Vereinigten Staaten, teilhaben und ist – nicht nur wegen des 100. Geburtstags – ein Lesetip für polit-und geschichtsaffine Leser.
Credit Coverbild:  ©  Taschen Verlag
Norman Mailer. John F. Kennedy. Superman kommt in den Supermarkt
Nina Wiener, J. Michael Lennon
Hardcover, 23,1 x 31,5 cm, 370 Seiten
Neuausgabe,  € 29,99